Heinz Brasch
Systemischer Coach und 
Haltungsentwickler
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Bewertungen und Beobachtungen

16/06/2024
Heinz Brasch
Baum der Bewertung

Stell dir vor, du machst einen gemütlichen Spaziergang durch den Dschungel. Plötzlich springt ein Tiger aus dem Busch! Jetzt wäre es doch etwas unpraktisch zu sagen: "Beobachtung: einen große Karte, bewerte diese Situation aber nicht. Der Tiger ist einfach nur ein neutrales Wesen, das zufällig sehr große Zähne hat." Nein, in diesem Moment ist eine blitzschnelle Bewertung durchaus angebracht - und zwar die, dass du besser die Beine in die Hand nehmen solltest!

Bewertungen sind also nicht nur normal, sondern manchmal sogar überlebenswichtig. Allerdings können sie in der Kommunikation auch zu einigen Stolpersteinen führen. Lass uns diese genauer unter die Lupe nehmen:

1. Das "Sein" des Bösen

"Du bist faul!" - Bäm! Mit einem einzigen Wörtchen hast du gerade jemanden in eine Schublade gesteckt, die so eng ist wie eine Sardinendose. Dabei wolltest du vielleicht nur sagen: "Ich habe bemerkt, dass du in letzter Zeit weniger im Haushalt hilfst." Sei also vorsichtig mit dem Verb "sein" - es kann ganz schön gemein sein!

2. Der Vergleich macht dich fertig

"Max kann das aber viel besser!" Ach ja? Und Max kann bestimmt auch viel besser Bananen schälen, oder? Vergleiche sind wie ein Wettkampf, bei dem es nur Verlierer gibt. Außer Max natürlich, der gewinnt immer.

3. Adjektive und Verben - die heimlichen Superstars der Bewertung

"Sie ist die beste Köchin der Welt!" Wirklich? Hat sie etwa alle 7,9 Milliarden Menschen bekocht? Adjektive und Verben können deine Aussagen aufpeppen, aber auch ordentlich überwürzen. Vorsicht also vor zu viel Geschmacksverstärker in deiner verbalen Suppe!

4. Die Vermischung von Annahmen und Beobachtungen - ein gefährlicher Cocktail

"Du hast absichtlich meine Lieblingsvase zerbrochen!" Moment mal, woher weißt du das? Hast du etwa eine Kristallkugel? Die Vermischung von Annahmen und Beobachtungen ist wie ein Cocktail aus Fanta und Motoröl - es schmeckt nicht nur furchtbar, sondern kann auch ziemlich giftig sein.

5. Verallgemeinerungen - der Hammer, mit dem du alles plattmachst

"Du kommst immer zu spät!" - "Alle Politiker sind korrupt!" - "Du hörst mir nie zu!" Aha, wirklich? Immer? Alle? Nie? Mit Verallgemeinerungen machst du die Welt so flach wie eine Flunder. Dabei ist sie doch eigentlich so schön rund und vielfältig!

6. Deine Meinung ist die einzig wahre - der Klassiker unter den Kommunikationssünden

"So ist das eben, Punkt!" Wer kennt sie nicht, diese unerschütterlichen Felsen der Weisheit, an denen jede andere Meinung zerschellt? Dabei könnte es doch so spannend sein, auch mal andere Perspektiven zu erkunden. Wer weiß, vielleicht entdeckst du dabei sogar, dass die Erde gar keine Scheibe ist!

Zum Schluss noch ein kleiner Tipp für dich: Bewertungen sind wie Gewürze - in Maßen können sie dein Leben und deine Kommunikation bereichern. Zu viel davon, und das Gericht ist versalzen. Also würze deine Gespräche mit Bedacht, und vergiss nicht: Auch dein Gegenüber hat vielleicht ein paar leckere Gewürze in der Tasche!

Ein ernstes Wort zum Schluss: Die Macht der Unterscheidung

Während wir uns humorvoll durch die Fallstricke der Bewertung in der Kommunikation bewegt haben, ist es wichtig, einen Moment innezuhalten und die tiefere Bedeutung zu betrachten.

Die Schlüsselunterscheidung zwischen Beobachtung und Bewertung ist ein fundamentales Prinzip der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), die in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Psychologen Dr. Marshall Rosenberg entwickelt wurde. Diese Unterscheidung ist mehr als nur ein kommunikatives Werkzeug - sie ist eine Einladung, die Welt und unsere Mitmenschen mit klareren Augen zu sehen.

Eine Beobachtung ist das, was du mit deinen Sinnen wahrnimmst - was du siehst, hörst oder erlebst, ohne es zu interpretieren. Eine Bewertung hingegen ist deine persönliche Interpretation oder dein Urteil über das Beobachtete. Zum Beispiel:

  • Beobachtung: "Tom ist in dieser Woche dreimal 10 Minuten nach Arbeitsbeginn ins Büro gekommen."
  • Bewertung: "Tom ist faul und respektlos gegenüber seinen Kollegen."

Die Fähigkeit, sich der Unterscheidung zwischen Beobachtung und Bewertung bewusst zu sein, kann deine Kommunikation grundlegend verändern. Sie ermöglicht es dir, klarer auszudrücken, was du meinst, und verringert die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und Konflikten.

Die Gewaltfreie Kommunikation lehrt uns, dass jede Bewertung auf ein unerfülltes Bedürfnis hinweist. Anstatt also jemanden zu kritisieren oder zu verurteilen, können wir lernen, unsere Bedürfnisse klar zu kommunizieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Indem du dir der Unterscheidung zwischen Beobachtung und Bewertung bewusst wirst, öffnest du die Tür zu einer empathischeren, klareren und letztlich erfüllenderen Art der Kommunikation. Es ist ein Weg, der nicht nur deine Beziehungen verbessern, sondern auch dein Verständnis für dich selbst und andere vertiefen kann.

Denk also das nächste Mal, wenn du dich dabei ertappst, wie du eine schnelle Bewertung vornimmst, daran: Hinter jeder Bewertung steht eine Beobachtung und ein Bedürfnis. Erkenne sie, benenne sie, und du wirst feststellen, dass sich neue Wege des Verständnisses und der Verbindung öffnen.

Passend zu diesem Beitrag, lade ich dich ein Die Kunst der Beobachtung zu lesen.

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