Heinz Brasch
Systemischer Coach und 
Haltungsentwickler
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Ohne Angst könnte auch alles Anders sein

30/05/2024
Heinz Brasch

In der Welt der Psychologie existiert ein faszinierender Ansatz namens Konstruktivismus. Dieser legt nahe, dass Menschen ihre Realität möglicherweise aktiv erschaffen, anstatt sie passiv wahrzunehmen. Man mag sich vorstellen, jeder menschliche Geist arbeitet wie ein Filmregisseur, und jeder dreht ständig seinen eigenen Film des Lebens. Jede Szene, jeder Dialog scheint durch eine persönliche Linse interpretiert und gestaltet zu werden und die selbe Situation erscheint in jedem Film anders. Bis die Angst sich einmischt...

Die Angst als möglicher Co-Regisseur

Tritt Angst in Erscheinung, wirkt es, als hätte sich ein pessimistischer Co-Regisseur in das Filmteam geschlichen. Dieser Co-Regisseur neigt womöglich dazu, Szenen düsterer zu gestalten und potenzielle Gefahren in den Vordergrund zu rücken.

Dies äußert sich mutmaßlich in einer selektiven Wahrnehmung. Betroffene nehmen vermutlich vorwiegend bedrohlich wirkende Elemente in ihrer Umgebung wahr. Ein freundliches Lächeln wird unter Umständen plötzlich als spöttisches Grinsen fehlinterpretiert. Ebenso erscheint es plausibel, dass in solchen Momenten negative Vorhersagen dominieren: Eine bevorstehende Präsentation wandelt sich in der Vorstellung zum Desaster, ungeachtet guter Vorbereitung. Hinzu kommt möglicherweise die Überbewertung von Risiken - eine kleine Unstimmigkeit mit einem Kollegen wächst in der Vorstellung eventuell rasch zu einem karrierebedrohenden Konflikt heran.

Die Hypothese der sich selbst erfüllenden Prophezeiung

Das Tückische an dieser mutmaßlich angstgeleiteten Realitätskonstruktion liegt in ihrer potenziellen Selbstbestätigung. Erwartet jemand ständig Ablehnung, verhält er sich womöglich unbewusst distanziert, was wiederum tatsächlich zu Ablehnung führen kann. Es erscheint denkbar, dass ein Kreislauf entsteht, in dem die Angst ihre eigene Berechtigung zu beweisen scheint.

Mögliche Wege zur Neugestaltung

Ausgehend von diesen Annahmen eröffnen sich möglicherweise Wege zur Neugestaltung der Realität. Ein vielversprechender erster Schritt wäre die Bewusstwerdung z.B. mit hilfe eines Coach. Menschen könnten in einem geführten Prozess erkennen und lernen, dass ihre Wahrnehmung lediglich eine Interpretation darstellt, und nicht die absolute Wahrheit ist. Daraus ergeben sich alternativen Handlungsoptionen und Denkrichtungen.

Es ist sinnvoll, sich im Perspektivwechsel zu üben, indem Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Eine hilfreiche Frage lautet vielleicht: Was würde ein optimistischer Freund in dieser Situation denken?

Evidenzbasiertes Denken erweist sich möglicherweise als nützlich. Es bietet sich an, aktiv Beweise zu sammeln, die den eigenen Ängsten widersprechen. Positive Erfahrungen und Erfolge lassen sich notieren. Annahmen können mit der Realität überprüft werden. Nicht selten stellt sich heraus, dass die eigenen Befürchtungen übertrieben waren.

Abgrenzung: Krankhafte Angst und Trauma

Es ist von entscheidender Bedeutung, zwischen alltäglichen Ängsten und krankhaften Angstzuständen oder Traumata zu unterscheiden. Während die bisher beschriebenen Ansätze möglicherweise bei gewöhnlichen Ängsten hilfreich sein können, erfordern klinische Angststörungen und Traumata in der Regel professionelle therapeutische Unterstützung.

In solchen Fällen stößt Coaching an seine Grenzen. Es obliegt der Verantwortung eines Coaches, die Anzeichen ernsthafter psychischer Belastungen zu erkennen und Klienten gegebenenfalls an spezialisierte Fachkräfte wie Psychotherapeuten oder Psychiater zu verweisen. Diese verfügen über die notwendige Ausbildung und die Werkzeuge, um komplexe psychische Zustände angemessen zu behandeln.

Die Zusammenarbeit zwischen Coaches und Therapeuten kann sich als fruchtbar erweisen, wobei jeder in seinem Kompetenzbereich agiert. Während Therapeuten an tieferliegenden psychischen Strukturen arbeiten, können Coaches möglicherweise unterstützend im Bereich der Alltagsbewältigung und der Entwicklung neuer Perspektiven wirken - stets unter Berücksichtigung der therapeutischen Leitlinien.

Fazit: Die mögliche Macht alternativer Narrative

Erkennen Menschen, dass ihre Realität zu einem großen Teil eine Konstruktion ihres Geistes ist, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Sie lernen vielleicht, alternative Narrative zu entwickeln und flexibler mit ihren "Alltags"-Ängsten umzugehen.

Es erweist sich möglicherweise als hilfreich, daran zu denken: Die Wirklichkeit könnte sich durchaus anders darstellen, als unser Geist es einem weismachen will. Mit Übung, Bewusstsein oder Unterstützung durch Coaches entwickeln sich Menschen vielleicht zu Hauptregisseuren ihres Lebensfilms und gestalten eine Realität, die weniger von Angst und mehr von Möglichkeiten geprägt ist.

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