Von "Macht über" zu "Macht mit" - Reflexion über Machtparadoxien in Teams und Organisatione

Macht ist ein Phänomen, das immer unser Zusammenleben und Arbeiten prägt. In Teams und Organisationen begegnen uns unterschiedliche Arten von Macht, die jeweils ihre eigenen Dynamiken und Herausforderungen mit sich bringen.
Ich möchte hier zwei zentrale Konzepte vorstellen – „Macht über“ und „Macht mit“. Diese stehen hierbei im Mittelpunkt dieser Reflexion. Während „Macht über“ durch Hierarchien, Kontrolle und Dominanz gekennzeichnet ist, betont „Macht mit“ Kooperation, Teilhabe und Gleichberechtigung. Ein Wandel von einer Machtform zur anderen kann nicht nur eine humanere, sondern auch eine pychologisch sicherere Arbeitswelt hervorbringen.
Doch dieser Wandel nicht statisch und alles andere als geradlinig und frei von Widersprüchen. Ein Wandel sollte regelmäßig zwischen Stabilität und Flexibilität, Kontrolle und Partizipation sowie Effizienz und Inklusion ausbalanciert und angepasst werden. Darüber hinaus passt nicht jede "Machtform" in jeden Kontext. Je nach Situation kann es notwendig sein, dynamisch Verantworlichkeiten und Rechenschaften neu zu verteilen.
Die Doppelnatur der Macht
„Macht über“ beschreibt jene Form von Macht, in der Einzelpersonen oder Gruppen über andere bestimmen – oft ohne deren Zustimmung. Sie schafft klare Hierarchien, die erstmal Stabilität und schnelle Entscheidungsfindungen ermöglichen. Gleichzeitig birgt diese Machtform jedoch erhebliche Risiken: Kontrolle und Überwachung können zu einem Klima der Angst, Unterdrückung und Demotivation führen. Hier zeigt sich das erste Paradoxon: Macht, die eigentlich der Steuerung und Ordnung dienen soll, wird zum Instrument der Ausgrenzung und des Missbrauchs. Wer Macht über andere ausübt, läuft Gefahr, sich von den Bedürfnissen und Perspektiven derer zu entfernen, die sie eigentlich führen soll. Empathie und moralische Verantwortlichkeit bleiben dabei oft auf der Strecke.
Im Gegensatz dazu steht „Macht mit“, die auf gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung und gegenseitiger Unterstützung basiert. Dieser Ansatz fördert nicht nur das Gefühl der Zugehörigkeit, sondern auch die kollektive Kreativität und Innovationskraft. Doch auch „Macht mit“ ist nicht frei von Herausforderungen. Die gleichberechtigte Partizipation aller Mitglieder kann Entscheidungsprozesse verlangsamen und komplexer machen. Hier zeigt sich das zweite Paradoxon: Während der demokratische, inklusive Ansatz auf den ersten Blick ideal erscheint, besteht die Gefahr, dass zu viele gleichberechtigte Stimmen den Entscheidungsprozess lähmen.
Der kontinuierlicher Balanceakt
Organisationen die versuchen ein System von „Macht über“ zu „Macht mit“ umzustellen, lassen sich auf einen ständigen Balanceakt ein. Führungskräfte stehen hierbei vor der schwierigen Aufgabe, einerseits autoritäre Entscheidungen zu treffen, wenn es die Situation erfordert, und andererseits den Raum für offene Diskussionen und Mitbestimmung zu schaffen. Dieser Spagat birgt das dritte Paradoxon: die Ambivalenz der Führung.
Führungskräfte müssen Autorität ausüben, ohne die kollektive Intelligenz des Teams zu untergraben. Sie müssen zwischen der Notwendigkeit klarer Anweisungen und der Förderung von Eigenverantwortung abwägen, um eine Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen herzustellen. Ein Beispiel hierfür ist eine Führungskraft, die einerseits klare Entscheidungen treffen muss, um Effizienz und Termintreue zu gewährleisten, andererseits jedoch darauf angewiesen ist, das Team aktiv in Entscheidungsprozesse einzubinden. Dies kann zu Spannungen führen, wenn Teammitglieder unterschiedliche Erwartungen an ihre Mitbestimmung haben oder wenn partizipative Prozesse Entscheidungsfindungen verlangsamen.
Innerhalb von Teams zeigt sich dieses Spannungsfeld besonders deutlich, etwa wenn sich Teammitglieder in einem agilen Projektumfeld bewegen. Beispielsweise kann eine flache Hierarchie, in der alle Stimmen gleichwertig behandelt werden, zu langen Diskussionen und einer Verzögerung von Entscheidungen führen. Andererseits kann eine klare hierarchische Führung zwar effiziente Abläufe sichern, aber auch die Kreativität und Eigenverantwortung der Teammitglieder einschränken. Ein Team, das zu stark von „Macht über“ geprägt ist, leidet häufig unter Demotivation, Stress und einem Verlust an Kreativität, da die Mitglieder sich nicht als wesentliche Mitgestalter des Prozesses fühlen. Gleichzeitig besteht in Teams, die ausschließlich auf „Macht mit“ setzen, die Gefahr, dass Konflikte vermieden oder unterdrückt werden, um den Gemeinschaftsgeist nicht zu gefährden. Dies kann zu einem Mangel an kritischer Reflexion führen, wodurch wichtige Differenzen und innovative Ansätze nicht ausreichend zur Sprache kommen.
Autonomie und Freiheit
Die Balance zwischen Führung und Geführten gleicht einem Tauziehen. Wenn ein System im Außen keine festen Regeln hat, benötigt es umso stärker innere Regeln, um eine funktionierende "Macht miteinander" zu gewährleisten. Umgekehrt gilt: Je stärker eine Person "Macht über" ausübt, desto weniger explizite Regeln werden in einer Gruppe benötigt. Diese Dynamik zeigt sich besonders in Organisationen, in denen Selbstorganisation und Hierarchie in einem Spannungsverhältnis stehen.
Der Weg zu einer ganzheitlichen Machtkultur
Der Wandel von „Macht über“ zu „Macht mit“ ist kein einfacher oder endgültiger Prozess, sondern ein fortwährender Versuch, die positiven Aspekte beider Machtformen zu integrieren und ihre jeweiligen Risiken zu minimieren. Es handelt sich um einen dynamischen Balanceakt, bei dem Hierarchien und partizipative Elemente gleichermaßen ihren Platz haben müssen. Führungskräfte und Teammitglieder sind gleichermaßen aufgerufen, Machtverhältnisse kontinuierlich zu hinterfragen, um eine Kultur zu schaffen, in der sowohl klare Verantwortlichkeiten als auch gemeinschaftliche Mitgestaltung möglich sind.
Die Reflexion über die Paradoxien, die mit Macht einhergehen, zeigt, dass weder die autoritäre noch die rein demokratische Machtform als Allheilmittel gelten kann. Vielmehr muss der Blick auf die Konstellation und den Kontext gerichtet werden, in dem Macht ausgeübt wird. Nur durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den ambivalenten Facetten von Macht können wir Organisationen formen, indem wir regelmäßig bestehende Machtstrukturen reflektieren, unterschiedliche Perspektiven einbeziehen und transparente Kommunikationsprozesse etablieren. Dies ermöglicht eine stetige Anpassung an neue Herausforderungen und verhindert die Verfestigung unerwünschter Hierarchien. So entstehen Organisationen, die nicht nur effizient und innovativ sind, sondern auch gerecht und menschlich.