Heinz Brasch
Systemischer Coach und 
Haltungsentwickler
Beitragsübersicht

Warum wir manchmal offensichtliche Probleme nicht angehen

02/07/2024
Heinz Brasch
Passivität bei Problemen

Hast du dich schon einmal gefragt, warum du oder andere Menschen offensichtliche Probleme nicht angeht? Diese Frage beschäftigt mich immer wieder – sowohl in Bezug auf mein eigenes Verhalten als auch auf das, was ich in meinem Umfeld beobachte.

Vor einiger Zeit bin ich auf ein faszinierendes Modell gestoßen, das beschreibt, wie wir Probleme nicht oder zumindest nicht effektiv lösen. Dieses Modell basiert auf den Discount-Konzepten von Jacqui Schiff (1975) aus der verhaltensorientierten Transaktionsanalyse. Es bietet eine hilfreiche "Landkarte" unserer inneren Verhinderer und kann dir dabei helfen, besser zu verstehen, warum du manchmal vor offensichtlichen Herausforderungen zurückschreckst.

Das Konzept der Passivität

Im Zentrum dieses Modells steht das Konzept der "Passivität". Damit ist gemeint, dass nichts Konstruktives zur Problemlösung geschieht. Interessanterweise wird hier zwischen passivem Verhalten und passivem Denken unterschieden. Für unsere Betrachtung konzentrieren wir uns auf das passive Denken.

In der Fachliteratur werden vier verschiedene Passivitäts-Muster beschrieben:

  1. Passivität: "Ich tue einfach nichts."
  2. Überanpassung: "Ich handle nicht selbst, sondern erfülle nur die Erwartungen anderer."
  3. Agitation / Aktionismus: "Ich lenke mich durch nicht zielgerichtete Aktivität ab."
  4. Selbstbeeinträchtigung oder Gewalt: "Ich lege mir selbst Hürden in den Weg."

Für eine humorvolle Annäherung an diese vier Konzepte empfehle ich dir diesen Artikel hier.

Die Matrix der Abwertungen von Problemen

Ein hilfreiches Werkzeug zum Verständnis unserer Passivitätsmuster ist die sogenannte Discounting- und Abwertungs-Matrix. Sie verbindet zwei Klassifizierungen und bildet daraus Abwertungsstufen:

Die Ebenen der Abwertung:

  1. Existenz
  2. Bedeutung
  3. Veränderbarkeit
  4. Persönliche Fähigkeiten

Die Bereiche / Typen der Abwertung:

  • Stimulus
  • Problem
  • Optionen / Alternativen

Zusätzlich lässt sich noch eine dritte Dimension eröffnen, die eine sinnvolle Unterscheidung hinsichtlich der Verhinderer-Kontexte ermöglicht:

  • Innere Dimension: Deine persönlichen Verhinderer
  • Äußere Dimension: Äußere Verhinderer
  • Sachliche Perspektive: Sachbezogene Verhinderer

Ein konkretes Beispiel: Der menschengemachte Klimakatastrophe

Um dieses Konzept greifbarer zu machen, betrachten wir ein aktuelles und wichtiges Beispiel: die Passivität im Hinblick auf den menschengemachten Klimawandel.

In der öffentlichen Diskussion können wir verschiedene Ebenen der Abwertung beobachten. Hier eine vereinfachte Darstellung der Matrix:

Discounting Matrix zum Thema "Menschengemachte Klimakatastrophe aufhalten!"

Auf der höchsten und schwierigsten Ebene (1) steht die Leugnung des Problems an sich. Von dort stuft sich die Komplexität bis zur Ebene (6) ab, wo Optionen für das eigene Handeln nicht erkannt werden.

Warum ist das wichtig?

Dieses Modell kann dir als Landkarte dienen, um deine eigenen Verhinderer ausfindig zu machen. Noch wichtiger ist, dass es dir ermöglicht, eine differenziertere Diskussion über gesellschaftliche und politische Themen zu führen, die uns alle betreffen.

Ich glaube, dass dieser Ansatz hilfreich ist, um ein Bewusstsein für unsere kollektiven Verhinderer zu entwickeln. Diese Verhinderer werden oft als Strategien genutzt, um ein Problem nicht angehen zu müssen – sei es auf persönlicher oder gesellschaftlicher Ebene.

Neben diesem anschaulichen Beispiel, lässt sich das Konzept der Passivität auch auf die Probleme "Diskriminierung am Arbeitsplatz" und "Zu viele Meetings" (und viele mehr) anwenden.

Durch das Verständnis unserer Passivitätsmuster und Abwertungsebenen kannst du beginnen, bewusster mit Herausforderungen umzugehen und effektiver an Lösungen zu arbeiten – sowohl in deinem persönlichen Leben als auch in größeren gesellschaftlichen Kontexten.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Passivität

Die moderne Neurowissenschaft liefert faszinierende Einblicke darüber, warum unser Gehirn manchmal dazu neigt, offensichtliche Probleme zu ignorieren. Diese Erkenntnisse können uns helfen, unsere eigenen Verhaltensweisen besser zu verstehen und gezielter an Veränderungen zu arbeiten.

Ein grundlegendes Prinzip unseres Gehirns ist das Streben nach Energieeffizienz. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass unser Gehirn von Natur aus Energie sparen möchte. Komplexe Problemlösungen erfordern viel kognitive Energie, weshalb Passivität eine unbewusste Strategie sein kann, um Ressourcen zu sparen.

Die Amygdala, unser emotionales Zentrum, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Bei wahrgenommenen Bedrohungen, zu denen auch schwierige Probleme gehören können, kann sie eine "Kampf, Flucht oder Einfrieren"-Reaktion auslösen. In diesem Kontext kann Passivität als eine Form der Fluchtreaktion verstanden werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Neuroplastizität unseres Gehirns. Wiederholte Passivitätsmuster können neuronale Verbindungen stärken, die diese Verhaltensweisen begünstigen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass wir dank der Neuroplastizität durch bewusstes Üben neuer Verhaltensweisen auch neue, produktivere neuronale Pfade schaffen können.

Überwindung von eigenen Passivitätsmustern

Nachdem du nun weißt, wie diese Passivitätsmuster aussehen können und wie diese möglicherweise entstehen, fragst du dich vielleicht: "Wie kann ich diese bei mir überwinden?" Es gibt tatsächlich praktische Strategien, die dir dabei helfen können, aktiver an Probleme heranzugehen.

Als erstes möchte ich dich Einladen, den erste und wichtigsten Schritt zu machen:
Deine eigenen Passivitätsmuster erkennen!

Beobachte dich selbst in Situationen, in denen du dazu neigst, Probleme zu vermeiden. Dieses Bewusstsein allein kann schon ein kraftvoller Katalysator für Veränderung sein.

Mögliche Fragen

LevelStimuliProblemOptionen
ExistenzWelche Anzeichen oder Auswirkungen des Themas/Problems nimmst du in deinem persönlichen Leben wahr?Inwiefern betrifft dieses Thema/Problem dich persönlich?Welche Verhaltensänderungen könnten für dich relevant sein?
BedeutsamkeitWie beeinflusst dieses Thema/Problem dein tägliches Leben?Welche anderen persönlichen Angelegenheiten konkurrieren mit diesem Thema um deiner Aufmerksamkeit?Welche kleinen Anpassungen könnsten du vornehmen?
VeränderbarkeitWelche Aspekte deiner persönlichen Situation erschweren Veränderungen?Welchen Einfluss glaubst du, auf das Thema/Problem ausüben zu können?Welche deiner Gewohnheiten oder Überzeugungen könnten Veränderungen im Weg stehen?
Persönliche FähigkeitenWelche Aspekte des Themas/Problems verstehst du noch nicht ausreichend?Was an der Situation überfordert dich?Wie könntest du effektiv zur Lösung beitragen?

Große Probleme können oft überwältigend erscheinen, weshalb es hilfreich sein kann, sie in kleinere, machbare Aufgaben aufzuteilen. Jeder kleine Fortschritt ist ein Sieg gegen die Passivität und kann dich motivieren, weiterzumachen. Vergiss auch nicht, dich selbst für proaktives Verhalten zu belohnen. Positive Verstärkung kann ein starker Motivator sein, egal wie klein der Schritt war. Bei tief verwurzelten Passivitätsmustern kann zudem die Unterstützung eines Coaches oder Therapeuten sehr wertvoll sein... Immer nur wenn du möchtest!

Denk immer daran: Veränderung braucht Zeit. Sei geduldig mit dir selbst und feiere jeden Fortschritt, egal wie klein er erscheinen mag. Mit Ausdauer und den richtigen Strategien kannst du deine Passivitätsmuster überwinden und aktiver an Herausforderungen herangehen.

Falls es dich interessiert: Hier noch ein Link zu einem Arbeitspaper von Prof. Dr. Henning Schulze zum Thema "Mediation Abwertungskonzept".

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